Kapitalismus Revisited

Der Kapitalismus feiert fröhliche Urzustände, und keine(r)
wehrt sich. Sogar die große, bürgerliche Presse berichtet darüber, und niemand
scheint sich wirklich zu wundern. So brachte der Spiegel zwei Artikel in der
Ausgabe  Nr.33 vom 11.08.08, die ich
kurz vorstellen möchte.

 

  1. Titel:
    Die Grenzen des Anstandes

Die meisten dürften sich an Muhammad Yunus erinnern. Der
Mann erfand das System der Mikrokredite, mit denen, in erster Linie Frauen,
sich eine eigene Existenz in den sogenannten Drittwelt- und Schwellenländern
aufbauen konnten. Die großen Banken lehnten es ab, diesen nicht-kreditwürdigen
Menschen Geld zu überlassen, da sie sich keine Rückzahlungen und somit auch
keine Gewinne erhofften. Yunus nahm (und nimmt) zwar horrende Zinsen von 20%,
aber er baute auf ein Solidar-System. In diesem System fasste er die
Kreditnehmerinnen in Gruppen zusammen. Zahlte jemand seinen Kredit oder die
Zinsen nicht zurück, wurde die gesamte Gruppe in die Pflicht genommen. Das
Prinzip „Solidarität“ funktionierte und alle versuchten ihren Verpflichtungen
nachzukommen. Die Mikrokredite funktionierten und brachten sogar Gewinne ein.

Was Idealisten geschaffen haben, wird nun durch die üblichen
Verdächtigen in Beschlag genommen. Denn wo Geld zu erwarten ist, ist der
Kapitalismus nicht weit. Herkömmliche Banken haben nun für sich das Prinzip der
Mikrokredite entdeckt und es unter kapitalistischen Gesichtspunkten optimiert.
So wird die „Gruppenhaft“, wie das Solidaritätsprinzip nun abfällig genannt
wird, abgeschafft und jeder hat das Risiko des Kredits für sich alleine zu
tragen. Wo vorher gescheiterte Geschäftsideen von der Gruppe aufgefangen
wurden, werden nun einzelne Existenzen unter Umständen komplett vernichtet.

Ähnlich ist es mit den Zinsen. Niedrigere Zinsen werden nun
durch die Abschaffung der Solidarität oder durch die Ausbeutung der Mitarbeiter
bei den Banken finanziert.

Oder im anderen Extrem: der Gewinn der Banken wird
maximiert, indem auf einmal Zinsen von bis zu 90% gefordert werden.

Ganz egal wie: der Bankier gewinnt, der Mensch tritt, wie
immer im Kapitalismus, in den Hintergrund.

 

  1. Titel:
    Neues Takt-Gefühl

Fords Fließbandarbeit und Taylor, der den wissenschaftlichen
Hintergrund zur Arbeitsteilung lieferte, stehen, wie keine anderen, für die
moderne Wertschöpfungskette im Kapitalismus. Die arbeitenden Menschen und ihre
Bedürfnisse interessierten nicht. Man ging davon aus, dass eine ausreichende
Bezahlung als Motivation ausreichend wäre („ausreichende Bezahlung“ stand
seinerzeit allerdings synonym für „überleben“). In der Nachkriegszeiten rückte
dann vermehrt die Tatsache in den Blickpunkt der Arbeitswelt, dass nur
glückliche Menschen auch gute Arbeit leisten und ihre Arbeitskraft lange
erhalten bleibt. Dem entsprechend entstanden damit auch neue Theorien zur
Optimierung der Arbeit und der Arbeitswelt.

Nun hat sich allerdings die Situation der ArbeiterInnen
gegenüber den 1950er Jahren deutlich geändert. Hieß es damals noch
„Vollbeschäftigung“, droht heute Hartz IV, falls man auf so einen Unsinn wie
Mindestlohn besteht. Das wissen die Unternehmen auch. Und wir würden nicht im
real existierenden Kapitalismus leben, wenn die Industrie ihre Vorteilsposition
nicht ausnutzen würde.

Taylor kehrt ans gute alte Fließband zurück und die neue
Disziplin heißt wieder „Arbeitsteilung“, gleichzusetzen mit Stumpfsinn,
Monotonie, Entfremdung,…

Toyota hat es vorgemacht, und Mercedes zieht nach.

Und dann behaupt noch jemand, Klassenkampf sei überholt und
nur noch was für alte Männer mit lustigen Bärten.

Kopfguerilla empfiehlt:

Marx/ Engels: Politische Ökonomie 

Wallfraff: Ganz unten. 

Einführung in die Geschichte der Arbeiterbewegung 

Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 

Die deutsche Arbeiterbewegung 

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